Leseproben

Mirella Kuchling: „13 x Mord“

Die Geschwister Hintermaier, vulgo Kothvogelbauer, saßen links und rechts in der Kirchenbank und sogar Gott konnte vom Himmel aus sehen, dass sie dumm waren. Der Pfarrer blickte wie jeden Sonntag auf ihre dicken roten Backen und leeren Augen. Ihre Eltern waren vor einigen Monaten gestorben und irgendwie hatte er einfach zu wenig Zeit, um sich um sie zu kümmern. Nun, sie waren keine Kinder mehr und man sah ja, dass sie gut über die Runden kamen. Sie wurden auch immer dicker, zumindest die junge Frau, die ihrem Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten war, nur dass sie zwei dicke Zöpfe trug und er natürlich nicht. Der Pfarrer lächelte in sich hinein, das hätte gerade noch gefehlt, dann wären die beiden der Obsorge des Dorfes zur Last gefallen! So aber lebten sie abgeschieden auf ihrer Hube, bearbeiteten ihren Acker, molken das Vieh und waren lebenstüchtig genug, nicht zu verhungern. Was wollte man mehr, man konnte sich nicht um alles und jeden kümmern und der Weg zu ihnen hinauf war weit und beschwerlich. Dass sie zur Messe kamen war für den Pfarrer des 666-Seelen-Dorfes ein weiterer Hinweis dafür, dass sie nicht gänzlich verblödet sein konnten, auch wenn hin und wieder nur der Bruder zur Kirche herunterstieg, aber mit Frauen war es ja so eine Sache, hatte er am Rande mitbekommen, immer wieder einmal waren sie unpässlich und dann ließ man sie am besten daheim.
(Auszug aus: Engelmacher)

Mirella Kuchling: „Wovon zu schreiben ist“

Mit all ihrer Kraft wehrte sich Marie, und da sie im Gegensatz zu den beiden anderen gut genährt war, hätte sie sich beinahe befreit, aber schon wurde ihr die Luft knapp, das Gesicht verfärbte sich, spiegelte vom Rötlichen ins Bläuliche, und die Augen traten ihr aus den Höhlen. Dann herrschte Stille. Schweißgebadet ließ sich Friedericke auf den Knien in den Schnee sinken, ihre Schwester zitterte vor Angst. Es hatte sein müssen, um ihrer aller Freiheit willen, beruhigte Friedericke sie, das würde sie doch einsehen? Mit dem Geld könnten sie endlich nach Russland und dort würden sie ihr Glück machen. Sie käme natürlich mit, aber sie müsse verschwiegen sein, das hatten sie doch vereinbart? Die Jüngere nickte und trat einen kleinen Schritt näher. In diesem Moment gab das Opfer einen tiefen Seufzer von sich und erschrocken sahen sich die beiden Schwestern an. Marie regte sich noch und ihre Hand tastete mit fahrigen Bewegungen nach der Schlinge (…). Rasch zog Friedericke ein Messer hervor und schnitt ihr mit einer einzigen Bewegung die Kehle durch. Von links nach rechts, genau so, wie es die Bauern mit den Schweinen machten, wenn diese fett genug waren, um geschlachtet zu werden.
(Falsche Freundschaft)

Mirella Kuchling: „Zweite Halbzeit“

„Das zweite Mal, … daran mag ich gar nicht denken, aber ich muss es, denn ich habe mir selbst versprochen, dir die ganze Wahrheit zu sagen. Es war spät am Abend, er hatte wieder zu viel getrunken und provozierte einen Streit. Ich wollte aus dem Schlafzimmer, aber er versperrte mir den Weg und stieß mich aufs Bett. Mit seinen großen Händen hielt er mir Mund und Nase zu. Ich versuchte mich zu wehren, aber er war viel zu stark.Es wurde finster um mich, ich dachte, dies sei das Ende, aber dann warst du da, Sophia, und hast ihn gefragt, was er da mit mir, deiner Mutter, mache. Du bist wirklich mein Engel, denn ohne dich hätte er so lange zugedrückt, bis ich nicht einmal mehr die flimmernden Muster gesehen hätte, die langsam verebbten, als die Luft wieder durch meine Luftröhre strömen konnte. Schmerzhaft war das, aber mit jedem Atemzug reifte der Wunsch nach Freiheit in mir. Der Wunsch, dich und mich zu retten.
(Brief an Sophia nach einem Tatsachenbericht aus dem Frauenhaus)

Mirella Kuchling: „Frauenzimmer unmöbliert“

Vielleicht sollte ich mich kurz beschreiben. Wie jede junge Frau pendle ich zwischen Anfällen von Selbstmitleid und Selbstüberschätzung. Zunächst das Beruhigende: Es gibt Leute, die sehen tatsächlich noch schlimmer aus als ich. Womit ich mit schlimm keineswegs moralisch verkommen meine. Mit anderen Worten: Ich bin nicht hässlich. Ich habe langes rotblondes Haar, das in wilden Locken über meine Schultern fällt. Leider habe ich davon so viel auf dem Kopf, dass ich weniger wie eine Elfe, sondern eher wie ein Troll nach einem Regenguss aussehe. Ein luftgetrockneter Troll, wohlgemerkt. Kürzlich erst raunte mir ein junger Mann in gebrochenem Deutsch zu: „Frau mit Haaren nach Stromausfall!“ So ein Unsinn! „Frau mit Haaren nach Stromschlag hätte es heißen müssen!“
(Aus dem Kapitel: Nur ein kleiner Fisch oder Ein Troll im Regen)

Mirella Kuchling: „Frauenzimmer teilmöbliert“

Als die ersten Sonnenstrahlen uns Zimmer fielen, erwachte ich. Anton saß noch immer da und sah mich an. „Guten Morgen“, grunzte ich verschlafe. „Guten Morgen, Prinzessin“, sagte er und rutschte näher zu mir. Er strahlte (…) schloss mich in die Arme und sagte: „Und jetzt möchte ich dich so verwöhnen, wie es eine Prinzessin verdient.“ (…) Mit einem Hechtsprung warf er sich über mich und begann mich zu küssen. Seine Küsse waren wesentlich elaborierter als alles, was sich an Zunge in letzter Zeit in meinem Mund getummelt hatte. (…) Anton setzte sich auf und zog an dem Gürtel meines Bademantels. (…) „Lass mich dein Hengst sein!“ Gerade als er diesen Wunsch durch ein gar nicht einmal so schlechtes Wiehern unterstrich, ging die Tür auf und de Putzfrau trat ein. Sie hatte die letzten Worte wohl gehört und schaute erschrocken zum Bett. Entweder mochte sie keine Pferde oder Antons Wiehern hatte ihr Angst eingeflößt. So genau wie sie hinsah, suchte sie wohl seinen Pferdefuß. Allerdings an der falschen Stelle.
(Aus dem Kapitel: Alles, was schlecht ist)

Mirella Kuchling: „Frauenzimmer vollmöbliert“

„Was machst du denn beruflich?“, fragte er mich gerade. Ich antwortete wahrheitsgemäß und bemerkte, dass sein Interesse an mir weiter stieg. Wieder ein Fehler! Journalistinnen sind es ja immerhin, die in Vampirfilmen mit den knackigsten Beißern ins Bett gehen, in anderem Genres Morde aufdecken oder selbst zu gnadenlosen Rächerinnen mutieren. Und das alles natürlich mit einer gehörigen Portion Sex-Appeal. Gleichberechtigt stehen nur Ärzte im Rampenlicht, nicht einmal Anwälte besitzen eine ähnliche mediale Attraktivität. Obwohl sie wesentlich besser verdienen, aber wer Ruhm hat, braucht wohl keine Knete. (…) Ich weiß nicht, waren es seine moosgrünen Augen – eine Lieblingsfarbe von mir, da sie sich ja auch in meinen Augen findet – oder seine offene amerikanische Art, ich erzählte tatsächlich: Von mir, meiner Wohnung, meinem Pech mit Männern (…).
(Aus dem Kapitel: Knackige Journalistin mit Möbeldefizit)

Mirella Kuchling: „David Green. Auf der Suche nach dem Wetterwürfel“

Eitle Viecher – und dazu durfte man den Mistkäfer sicherlich zählen – sind meistens auch verliebt. Immerhin ist es doch viel schöner, auch von anderen vergötterrt zu werden, denn sich ständig nur selbst schön oder gebildet zu finde, wird selbst dem größten Langeweiler einmal zu fad. Leider verliebte sich der „quadropodische Essayist“ aber in eine Dame, die seine Qualitäten gar nicht zu schätzen wusste (…). Der Essayist hatte seine Stielaugen nämlich auf die kleine, zierliche Marienkäferdame geworfen, die bekannt für ihren Zartsinn und ihre Vorliebe für wohlriechende Blüten und Blätter war. Von der Wissenschaft hielt sie sich ferne und ihr ganzer Büchervorrat reduzierte sich auf die grundlegende Werke der Gartenbau- und Kochkunst.
(Ein verliebtes Trampeltier)